Shin-Budo ... dies ist Teil des neuen Jahrtausend!
(oder: sich nicht auf dem Gipfel niederlassen...)

Seit Jahren schreibe, sage und wiederhole ich denjenigen, die es hören wollen, dass die Zukunft der Kampfkünste nur in einer intelligenten Ausarbeitung eines "Shin-Budo" (="neues Budo") liegen kann, dass die Kraft der Vergangenheit, deren Werte und starke Tradition ebenso wie all das integriert, was die gesellschaftliche Evolution der ganzen Welt an neuem Blut in diesen Bereich beitragen könnte. Dies habe ich vor einiger Zeit begonnen, in meinem persönlichen Konzept "Tengu-no-michi" ("Der Tengu Weg") zusammenzufassen, welches immer präsenter auf den von mir geleiteten Kursen und Lehrgängen ist. Ich glaube, dass man sich am Ende dazu bekennen muss. Und dass die Dringlichkeit besteht, sich endlich von all der um einige Gurus herum aufrechtgehaltenen Folklore, wovon offensichtlich diese Trägheit profitiert, von einer Tradition zu trennen, die am Leben bleiben könnte, in dem sie sich täglich an Tausenden von Beiträgen aus technischen wie auch mentalen Gebieten bereichert. Alles ist in Bewegung, ohne Unterlass. Dies ist das Gesetz des Lebens. Und genau so wird es wohl sein. Warum sollte es sich bei den Kampfkünsten anders verhalten? Wer kann heutzutage noch mit seinem Schwert spazieren gehen?... Wer kann sich noch auf vernünftige Weise vorstellen, dass sich in unserer Zeit eine Aggression in der gleichen Weise wie vor hundert Jahren abspielt, mit denselben Mitteln, unter den gleichen Gesetzen?... Wer kann heute noch die präzisen gesetzlichen Einschränkungen im Bereich der Selbstverteidigung ignorieren?... Wer kann sich wirklich rühmen, im klassischen Rahmen einer Gegenüberstellung innerhalb des Dojos, einem geschützten Ort, auf die tägliche Gewalt, die mögliche, brutale, perverse Aggression auf der Straße vorbereitet zu sein, die den Methoden, welche man mit einem Partner im Keikogi studieren kann, absolut entgegengesetzt sind?...

Sensei Ohtsuka Tadahiko, Kancho des Gojukensha in Tokyo, 9.Dan, sagte mir vergangenen Herbst, dass es Zeit werde, das Karate mit sportlicher Ausrichtung, einzig den wettkampfrelevanten Techniken gewidmet, und das sich nur gegen ein künstliches Kata-Studium nicht versperrt, vom traditionellen Karatedo zu trennen, in dessen Mittelpunkt die Kata und ihr Bunkai stehen. Eine hervorragende Bemerkung, die ich ohne jeden Vorbehalt unterschreibe! Auf der einen Seite Gymnastik, auf der anderen ein Lebenskonzept... Es ist eine Frage des Standpunktes und des Ausmaßes. Ich könnte die Überlegung des Sensei auf die Kampfkünste im Allgemeinen ausdehnen, welche mehr und mehr von den Anforderungen der Wettkampf-Demonstrations-Spektakel überflutet werden, für die sich die von einem Profi-Milieu, dessen wahre Motivation man verstehen kann, geprägte Masse entschieden hat. Und wenn wir nun eine klar definierte und somit im Geiste der Betroffenen (aktiv oder passiv) umrissene Koexistenz zweier Verhaltensweisen hätten: Die eine mit einer sportlichen Zielsetzung, sich nicht mehr durch ein Erbe von Konzepten (ethische Regeln dem Bereich Kampfkunst zugehörig) wie Formen (Kata) behindern müsste, welche selbst bereits nur "verratene Stücke" sind, weitgehend deformiert und unverstanden (warum leere Hüllen aufrechterhalten?). Die andere würde insofern als echtes Budo weiterleben, d.h. sie böte neben dem technischen, wie man weiß, auch den humanitären Aspekt. Dieses Budo, das einzige welches seinen Namen beihalten sollte, könnte sich selbst begreifen und unter zwei Formen praktiziert werden: Die eine streng traditionell, mit ihren Riten und Wegen von Generation zu Generation treu reproduziert, die andere, Vergangenheit, Gegenwart und Forschung vereinigend, wäre eine lebendige Kampfkunst auf der Basis einer sich weiterentwickelnden Tradition, besser der reellen Welt angepasst, somit besser von denjenigen verstanden, die sie praktizieren. Was mich betrifft, so kennen Sie nun meinen Standpunkt, und meine Wahl ist endgültig: sie wird sich auch weiterhin im Rahmen des Tengu Institutes bestätigen und erklären.

In diesem Geiste möchte ich das neue Jahrtausend beginnen. Und in diesem Sinne habe ich erneut Sensei Ohtsuka und seine Frau nach Straßburg eingeladen, nachdem ich einen wichtigen Punkt über Alles, was die fernöstlichen Kampfkünste an klassischem und traditionellem besitzen, in der "Encyclopedie des Arts Martiaux", die eine Synthese leidenschaftlich gesammelter Archive seit dem Anfang meiner Praxis (...1956, aber ja doch, ...) ist, beitrug. Das Arbeitsprogramms für den Lehrgang Ende Oktober 2000, über das wir beide übereingekommen sind, und welches als Mittelpunkt den Ahnen der Handbücher der Kampfkunst, das "Bubishi", besaß, zeigt gleichermaßen das klare Bekenntnis wie die Tradition, die es als solche verdient, wohl verstanden zu überleben und, mehr noch, von jedem übenden mit Sorgfalt studiert zu werden.

Im Laufe dieser neuen und intensiven Momente mit Sensei Ohtsuka, hat letzterer mich in etlichen Standpunkten bekräftigt. Wenn man allein gegen den Strom schwimmt, ermüdet man dennoch, und es kann selbst damit enden, dass man sich selbst im Irrtum glaubt... Aber nein! Ich kann Ihnen sagen, dass, indem ich unter seiner Leitung die tausend Details der Chen Form des Taichi Chuan, zahlreiche Formen des Bunkais, welches man zersplittert, verstümmelt, sogar (absichtlich?) falsch in manchen Karate-Katas findet, oder noch auf sehr primitive Art und Weise interpretiert wird, erarbeitete, erstrahlen in einem neuen Licht. Ermutigend... Mir gefiel auch sein Bild vom Berg, der niemals selbst das Endziel (im Sinne: dort wo man aufhört) sein sollte, sondern nur ein erhobener Ort von wo es möglich ist, unter einem anderen Blickwinkel, die Gipfel anderer Berg wahrzunehmen. Jeder der Wege, die dorthin führen, erlauben es andere Wege zu erhellen und zu verstehen... Aufgrund der heute so hässlichen gesehenen Transformation der Kampfkünste, brauchte ich die Bestätigung in einem Ansatz der Kampfkünste, der immer der meine war. Ich wurde bestätigt, genug um weiterhin anderen Kletterpartien entgegen zu sehen.... so lange die nötige Energie für die Begegnungen da sein wird.

Hören wir, innerhalb der Dojo des "Centre de Recherche Budo", nicht auf, diesen Weg gemeinsam zu erkunden, der in die Berge führt, um dort den Blick auf andere Berge zu eröffnen... Diese Klettertour der Entdeckungen hört nie auf!

Das Leben ist ganz einfach leidenschaftlich, so lange man die Entscheidungsfreiheit besitzt, sich auf seinem Berg nicht nieder zu lassen... auf keinem Berg...

Roland Habersetzer
8.Dan
Präsident des CRB
Direktor des Institut Tengu

Ich möchte von den authentischen Kampfkünsten (Budo) sprechen, von denen die "wirklich sprechen", weil sich dort Alles um den Begriff der Waffe dreht, also um das Leben und den Tod, mit all dem Ernsthaften, das ein solcher Zugang impliziert, nicht von diesen "Gestikulationen mit Ursprüngen in der Kampfkunst", welche im großen Stil die Bühnen, Ringe und Bildschirme vereinnahmt haben, in der größten Verwirrung der mitschuldigen Zuschauer.

Kancho: Chef, oberste Autorität einer Kampfkunstschule.

Bunkai ist die Interpretation und Anwendung einer in der Kata präsenten Technik.

Übersetzt von Erhard Weidenauer